heute morgen hat es mich ein wenig gebissen, und ich dachte, ich sollte vielleicht das bild, das ich von meiner familie gezeichnet habe, irgendwie rehabilitieren. obwohl sie das sicher nicht verdient hat.
natürlich wurde mit mir gesprochen. ich habe auch ohne zweifel geantwortet, wenn es mir angemessen schien. wie sonst könnte ich heute sprechen, lesen und schreiben. ich habe sogar „widerworte“ gegeben, wie mir gerne und häufig bescheinigt wurde. die kindliche form der gegenrede, wie mir scheint, die in den 60er und 70er jahren nicht besonders gefördert wurde. das grundkonzept kommunikation habe ich also durchaus verstanden und nach kräften angewendet. aber wirklich geredet wurde eben nicht.
immer wenn es um etwas ging, wurde vorwiegend geschrien. und anschießend geschwiegen, mitunter auch geschlagen. nicht immer war ich das objekt, es gab auch andere. und es gibt sicher vieles, das ich damals nicht verstand und daher heute nicht weiß. auch das ist kommunikation.
was ich weiß, sind die dinge. die männer haben mir gezeigt, was es damit auf sich hat, mein vater und mein opa. auch sie haben nicht viel geredet, der bergmann und der schreiner. sie haben mich zusehen lassen, hören, riechen und verstehen. bald durfte ich sägen, hämmern und bohren, mit den eigenen händen. bald wußte ich, was „anreißen“ bedeutet.
mein opa, der bergmann, hatte einen schuppen, in den er sich zurückzog, wenn es ihm draußen zu laut wurde. ein verschlag eher, voll mit werkzeug, nägeln und schrauben, einer werkbank, einem schraubstock und zwei luftgewehren. nach dem krieg hatten dort die hühner gelebt. in einer ecke stand die kiste mit meinem spielsand, es gab auch ein fenster, das meistens mit anmachholz zugeräumt war. an die äxte durfte ich nicht, an die waffen schon. oder ich habe es einfach getan, sie waren nicht scharf.
kaum jemand folgte meinem opa in sein reich, alle erledigten dort gerade das, was es zu erledigen gab. wäscheklammer holen, besen, gartenscheren oder rasenmäher. nur ich hielt mich dort gern auf. ich ging auch allein hinein und „spielte“ mit den gegen den rost gefetteten schusternägeln, den nach größe sortierten muttern und der munition, die aussah wie kleine diabolos. ich tat nichts verbotenes, auch wenn ich die gewehre vorsichtig aus ihrer ecke nahm. ich durfte dort sein.
mein opa baute mir eine fußbank, damit ich an die werkbank reichte. dann ließ er mich nägel in einer reihe in ein brett schlagen und lobte mich anschießend. er zimmerte mir einen kleinen hängeschrank für mein werkzeug. ein winziger hammer, eine feile und ein 1m-zollstock. noch einiges mehr habe ich ihm abgeschwatzt, um es in dieses kistchen zu legen. schraubendreher vermutlich und „böhrchen“, wie er zu den feinen bohrern sagte, die so gerne brachen.
ich war sehr stolz auf meinen eigenen werkzeugschrank und all die schönen dingen, die sich darin befanden. irgendetwas daran war sehr klar und rein. und liebevoll.
auch mein opa hat irgendwann versucht, mit mir zu reden. das war lange vor der frau in bayern. ich hockte vor dem schuppen und warf groschen an die wand. eine art glücksspiel, wenn man es genau bedenkt. mein opa warf mit und ließ mich gewinnen. ich weiß nicht mehr, was er gesagt hat. er sprach über meine mutter, die seine tochter war. es klang wie eine entschuldigung. vielleicht. es klang hilflos.
mein schreck war riesig, ich war nicht vorbereitet. ich konnte es nicht einmal fassen, das durfte nicht sein. ich konnte über die dinge in der familie nur schweigen, wie alle es taten. ich dachte, das wäre die regel. ich dachte, sie gelte für alle, für immer. und ich konnte die regel nicht brechen.
ich flüchtete. ich lief weg, phyisch betrachtet, und ich verharrte. diese art von schweigen, die keine freiheit bedeutet, die keine tiefe hat und keine stille in sich birgt. sondern nur die angst vor dem großen knall, wenn die bombe dann platzt. irgendwann. (was sie niemals tut.)
keine ahnung hatte ich, damals, daß ich darin nicht die einzige war. wir alle, vermutlich, waren darin gefangen. die einen schrien vor angst, die anderen schwiegen.
was bleibt sind die dinge. die schärfe von metallspänen. holz und sein geruch. wie es klingt, wenn man das stecheisen ansetzt oder die axt. wie es pfeift und singt, wenn es schreit.
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