am anfang war das wort eine mischung aus wahrnehmung und klang

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heute, vor genau zwanzig jahren, bin ich in berlin angekommen. vor ein paar wochen schon habe ich es im blog nachgesehen, geht ja ganz einfach, und es mir in den kalender geschrieben. dass ich es nicht vergesse.

das also war am morgen des letzten tages in wuppertal.

ohne den kalendereintrag hätte ich es vermutlich tatsächlich vergessen. zu viel zu tun dieser tage, zu viel unerwartetes auch. (nix von bedeutung, nur software-upgrades, die plötzliches umlernen der anwenderin erfordern. von mir, der nutzerin. also unerwartete konzentration auf alltägliches handeln.) aber jetzt steht es da und überall. auch in meinem hirn windet sich lang verschollene erinnerung.

die wohnung, damals. dieselbe, immer noch. so war das nicht geplant. ich dachte, tatsächlich, ich würde noch weiterzuziehen, innerhalb von berlin. ausgerechnet ich, natürlich nicht. grob geplant war auch, dass ich nur etwa zehn jahre bleiben wollte. und dann weiter, in meine damals schon heimlich lieblingsstadt.

was überhaupt ich mir gedacht habe, bei diesem umzug. mehr als waghalsig, ohne jegliche absicherung. so waren sie dann auch, die ersten jahre. mit sehr wenig geld vor allem, aber auch sonst. heute wäre das undenkbar, allein schon der wohnungsmarkt würde mich nicht mehr einlassen. ob das gut ist. oder wäre. keine ahnung.

heute denke und weiß ich, dass es gut war, das unmögliche zu tun. damals. vieles hat sich super entwickelt und bestens gefügt inzwischen. besser als ich zu hoffen gewagt hatte. allerdings nur auf lange sicht, sehr lange sicht mitunter. so weit, wie ein mensch nicht sehen kann. oder gar planen.

alles ist anders geworden. ich bin anders geworden, älter vor allem. und immer noch habe ich mir gegenüber diese eigenartige haltung. mehr eine sichtweise, vielleicht.

dass ich so richtig eigentlich noch gar nicht angefangen habe.

neuköllner straßen

ein bisschen schwächeln, ein paar tage nacken und rücken und so. egal. schlimm ist anderes, das sich derzeit aufzutun scheint. eine fremde stimmung in der mich umgebenden multikulturalität, wie ein starrer riegel

gestern stand ich in einem laden, vorwiegend um mich bei einem regenschauer unterzustellen. aber solche zeichenbedarfgeschäfte mit einer kleinen buchabteilung sind natürlich auch verlockend für mich. da höre ich eine laute männerstimme vom eingang, die etwas von „deutsch sprechen“ krakeelt, immer wieder, immer mehr. ich schaue hin und sehe, dass er mit einer frau und einem kind spricht, die sich beide fahrradregenfertig machen. beide reagieren nicht, das kind dreht dem typen den rücken zu, aber sie sind gemeint. das ist deutlich.

ich verstehe den zusammenhang nicht, aber es klingt böse. so böse, dass ich beschließe, sichtbar in der nähe zu beiben. für alle fälle. der mann schwenkt um auf „europäisch reden“, was seiner meinung nach hier auch nicht erlaubt ist. (haben die beiden etwa englisch gesprochen, ich weiß es nicht.) dabei hampelt er mit seinem rad, dreht sich im kreis, nicht nur mit worten. es ist albern, aber irgendwie auch nicht. so etwas habe ich lange nicht gehört, schon gar nicht so laut, so deutlich. und hier in neukölln.

es hört auf zu regnen, ich mache mich auf nach hause. an einer kreuzung, an der sowieso immer alles eng verparkt ist, befindet sich jetzt auch noch ein baustelle. und es kommt ein typ mit einem großen hund, einem brocken von rottweiler. ich hab es nicht so mit hunden. ich habe nicht wirklich angst, ich will nur nicht missverstanden und nicht belästigt werden. ich will, dass wir alle unserer wege gehen können. unbehelligt. wenn ich merke, dass es eng wird, bemühe ich mich seitwärts oder hintenrum vorbei meinen weg zu machen. und bei einem rottweiler ganz sicher!

ich zögere also, um herauszubekommen, wo hund und herrchen hinwollen könnten. damit ich von da aus meinen weg definieren kann, kein problem. nur dass das herrchen mich plötzlich anpfeift. ich sei doch deutscher*, heißt es, hätte aber angst wie ein araber. einen moment lang weiß ich nicht weiter. bei angriffen, auch verbalen, tendiere zur fassungslosigkeit und zum erstarren. dann laufe ich einen großen bogen, weg von dem hund, der womöglich (hoffentlich) gar nicht das problem war.

ich glaube, ich sage noch: halts maul, junge. oder etwas ähnliches mit „junge“, was mir sofort lahm vorkommt, beinah peinlich. vor allem, weil ich gerade seitlich weglaufe. aber vor den typ habe ich wirklich angst und jetzt auch vor seinem hund. andererseits: der „mann“ ist wirklich deutlich jünger als ich, vielleicht so um die vierzig. für mich ist das ein junge, das ist nicht mal gemein.

ich mag mir gar nicht vorstellen, wie dieser typ mit seinem bulligen köter durch die neuköllner straßen schiebt und „arabern“ angst macht. zu machen versucht. oder am ende schlimmeres?

heute dann, nicht weit von den beiden gestrigen schauplätzen, kommt mir eine gruppe jungs entgegen. wirkliche jungs, alberne, schlaksige schuljungs, die ferien haben und durch den regen stromern. einer von ihnen trägt eine kippa, das habe ich hier noch nie gesehen. das ist tough! das freut mich, irgendwie, und erschreckt mich auch. weil ich nicht anders kann als weiterdenken.

* das werte ich als missgendert, ausnahmsweise, obwohl ich das im allgemeinen ganz lustig und auch nicht so ganz falsch finde.

mehr nicht

jetzt bin ich drei- oder viermal an dem vorbeigelaufen, was ich für den beginn des weiteren umbaus der weserstraße zur fahrradstraße gehalten habe. kann sein, dass da nur ein wenig in der unterwelt gegraben wird, vielleicht an den rohren geschaubt. das ist alles. ich bin enttäuscht.

aber immerhin sehe ich wieder einmal die unerwartete gesamtgröße von kopfsteinpflastersteinen.

stille, sonntag morgen in neukölln. erst trällert ein e-scooter, minutenlang ruft er stoisch um hilfe. ohne erfolg, vermutlich. dann die amsel, ihr freundliches lied, wie es sich gehört. wenig später schreien die krähen ihren seltsamen gesang. diese punks, denen man ihre komplexität nicht anhört. mir sehr vertraut. am ende der laubbläser, mit dem der späti den berliner dreck vor sich hertreibt.

wie jeden morgen.

neuköllner nächte sind lang

nachts wird vor meinem schlafzimmerfenster recht häufig oft gesungen und gebrüllt, wenn die partymeute aus aller welt sich ihren weg durch die stadt bahnt. dann sind sie immer auch hier seit einigen jahren. meistens nervt das, oft ist es mir auch egal, weil ich selbst noch wach bin. aber sehr selten klingt es schön. wie der zweistimmige gesang zweier frauen, sehr präzise und nicht zu laut, der mich irgendwann im sommer aufgeweckt hat. die beiden hätten nicht so schnell wieder weg sein müssen. faded out.

gestern nacht war da dieses pärchen, ein mann und eine frau. die sangen nicht, jubelten nicht besoffen herum, freuten sich auch kein bisschen. die hatten überhaupt keine gute laune. keine ahnung, was die genommen hatten.

die beiden schrien nur stundenlang in der gegend herum, mal von mehr und mal von weniger weit. er mehr als sie, aber sie auch, immer wieder dazwischen. er sprach langsam, irgendwie lallig. vielleicht ein akzent, aber wer weiß das schon. dann jaulte er plötzlich minutenlang, als hätte er schmerzen, als würde er gleich losschluchzen. oder kurz vor dem durchdrehen, in einem schön regelmäßigen rhythmus, wie ein- und wieder aus- und wieder einatmen. ein langes, schmerzvollen gröhlen.

vielleicht haben sie auch gefickt, nicht weit von meinem nachtschlaf. allerdings entfernte sich dieses jaulende gejammer mehr und mehr. ob und wie das funktioniert, wäre mir ein rätsel. in einer winternacht im februar.

danach war ruhe, bis gegen sechs. dann waren sie wieder da, immer noch im selben modus. und immer noch auf demselben üblen trip. neben dem geschrei krachte und schepperte es mitunter, allesmachstdukaputt, kreischte sie. dumachstalleskaputt, brüllte er. bis es wieder krachte und schepperte und sie um hilfe schrie. da suchte ich nach meinem telefon, endlich. sah aber im gleichen moment schon das blaulicht. jemand anders war schneller als ich. zum glück.

leiser wurde es dadurch nicht, im gegenteil. laut war es, das plötzliche raufen, laufen und kämpfen, das über- und gegeneinander der stimmen, der laufenden motoren und schlagenden autotüren nicht zuletzt. keine ahnung ob zwei oder vier polizisten zugegen waren, oder ob nur er oder auch sie mitgenommen wurde. ich bin nicht aufgestanden, um nachzusehen.

es war halb sieben oder so. kurz vor wecker.

1. schulddrehtag

gegen acht tauchten die ersten drehtagbauarbeiter und diverses aufsichtspersonal in gelben oder orangen westen auf. kurz darauf wurden fünf autos angeliefert, was mich ein wenig auf einen außendreh hoffen ließ. vor allem, weil kurz danach auch noch die ganze straße ab sonnenalle gesperrt wurde. da ich dann aber von neun bis nachmittags um drei  in sachen literatur unterwegs war, hab ich davon nix mitgekriegt.

als ich zurückkam war das geschehen längst in die kneipe verlegt. ein wenig konnte ich von meiner wohnung aus zusehen, wie hektisch kamera und tonangel um die akteure herumzappeln. eine choreographie des notwendigen, vermutlich. passend und schön. draußen vor den kneipenfenstern scheinwerfer und gekabel, dazu frierende menschen in warnwesten. mit kaffebechern in den händen.

jetzt sind sie alle wieder weg. die kneipe macht gerade zu, nur die autos stehen noch da. auch eine wahnsinnsfeudale karre, sowas wie ein rolles royce oder ein bentley oder so. keine ahnung. und dazu wieder ein wachmann und hütchenspieler zur sicherheit, ist ja schließlich neukölln hier. vielleicht der von gestern?

auf jeden fall friert er. und kaffee hat er auch keinen.

schulddreh

vor meiner tür, nein besser: um meine gesamte wohnung herum wird morgen und übermorgen schuld gedreht. fürs zdf. eigentlich fast das einzige, was ich vom zdf kenne und durchaus schätze. wenn ich auch nur zwei folgen kenne, darunter die erste. äpfel kamen drin vor und sepp bierbichler hat mitgespielt. ach nee, da hieß es noch verbrechen. egal, jetzt ist es moritz bleibtreu, soweit ich weiß. auch nicht schlecht.

ich war nett und habe eben das motorrad aus der schußlinie gefahren. zum einen, weil wohl in der eckkneipe gedreht wird, vor der die kiste immer steht. diese kneipe ist so eine echte, alte berliner biereckkneipe, wie es sie in der weserstraße kaum noch gibt. und den besitzern oder betreibern oder was auch immer gönne ich von herzen jeden batzen geld, damit die kneipe auch schön hier bleibt. direkt vor meinem schlafzimmerfenster möchte ich keinen dieser hippen hipsterläden. daß es hier, zirka 30 meter von meinem bett, so ein- bis zweimal im monat ein wenig hoch hergeht, reicht mir durchaus. menschen in der nacht sind verdammt laut. zum anderen, weil da heute nachmittag schon leute angefangen haben, mit großen gerüststangen zu hantieren. das ist mir zu gefährlich für mein auf leicht altersschwachen beinen stehendes gefährt.

die extra für zwei tage angebrachte parkverbotsbeschilderung kommt übrigens ein wenig durchwachsen daher. was es wohl bedeuten mag, wenn unter dem schild für absolutes halteverbot das auch-auf-dem-seitenstreifen-schild angebracht ist? neben der fahrbahn gibt es hier nur einen fahrradweg und einen bürgersteig. so gesehen hätte ich die kawa auch mitten im geschehen stehenlassen können. oder könnte mit seitenstreifen der gesamte bereich bis zum haus gemeint sein? eine gewagte these. wie auch immer, noch einmal möchte ich mich nicht mit einer dieser kackfreundlichen filmmitarbeiterInnen unterhalten, die in solchen fällen für die geschwichtigung der bevölkerung zuständig sind. ob ich das schöne fahhrad wegfahren könnte, hat die letzte mich in einem schwer zu verortenden akzent gefragt. fahrrad? ein fahrrad mit zirka 250kg?

wenn ich jetzt allerdings aus dem fenster sehe, dann wundere ich mich schon wieder. das parkverbot direkt gegenüber, das offiziell ab morgen 7 uhr gilt, wird bereits jetzt mit schicken orangegestreiften hütchen durchgesetzt. nagelneu scheinen die, und es funktioniert tatsächlich. vielleicht nur, weil zusätzlich ein wachmann in kälte und regen den fahrradweg beständig hin- und wieder zurückflaniert. zwischendurch spielt er auch mal ein wenig mit den hütchen: zwei zentimeter nach links. oder doch lieber wieder zurück? vielleicht drei zentimeter nach rechts?

ob der das die ganze nacht machen muß?

sexy

die wege durch berlin sind grundsätzlich überraschend. und sie bleiben es, auch nach über zehn jahren. immer wieder ist es nicht nur ein bißchen, es ist grundlegend anders. anderswo, ein paar kilometer weiter mitunter. also nicht nur mal mehr und mal weniger verdreckt, mal mehr und mal weniger krumm und schief. das sowieso. berlin spricht viele sprachen, eine legt sich über die andere, dicht beieinander leben sie. durchlässig und durchscheinend, aber verwechseln sollte man sie nicht. die wohnungen in friedenau sind auch innen völlig anders (konzipiert) als die, in den mietskasernen in neukölln. arbeiterklassenblockbebauung aus den 20ern, 30ern, 40ern, dazwischen lückenfüller aus den 70ern. und in charlottenburg erst, wo festangestellte das unkraut aus den steinfugen zupfen. berlin bückt sich, das ist gängige praxis. berlin gibt sich die blöße. berlin ist arm, wie hoch auch immer grund und boden und immobilien gehandelt werden mögen. berlin ist dreck, egal wie und warum es sich putzt.

nicht geputzt wird am kotti, wohin mich meine wege seit einiger zeit einmal wöchentlich führen. der tango ist schuld, der nun in unmittelbarer nähe des kreuzberger traditionsbüros der grünen in der dresdener straße stattfindet. der kotti ist nicht meine lieblingsgegend, das muß ich zugeben. weder unterirdisch, noch obenauf, wie ich den vergangenen wochen erneut festgestellt habe. der kotti ist nicht zu bewältigen, nicht einmal verkehrstechnisch. nicht einmal zu fuß. es ist voll, noch voller als hier bei mir in meinem schicken, mir zugewachsenen szenekiez. direkt vor meinem fenster, wo das europäische und amerikanische jungvolk nacht für nacht herumhipst und seinen ganz eigenen dreck mit sich bringt. lärm und geschwätz vor allem, ignoranz.

der kotti dagegen ist ehrlich immerhin, undurchdinglich und offensichtlich wund. gehandelt wird mit allem: döner, blumen, drogen, dreck. polizei ist vor ort, permanent vielleicht, um zu helfen. oder um auch noch im weg zu stehen, ich weiß es nicht. alles nur gestalten, die einen wie die anderen. die vielen sprachen, die absichten, das getriebene, das nichtverstehen darin. all das. ich auch, wie ich mich irgendwie am rand durchzuschlawienern versuche. um möglichst unbeachtet zu dem schicken loft im vierten stock zu gelangen. nicht weit, wo der tango wartet. eine andere welt. überfordert bin ich, angewidert auch, ich gebe es zu. meine schuhe sind neu, das kommt mir seltsam vor. (vor allem, weil ich selbst lange keine neuen schuhe hatte. nicht solche zumindest, so richtige, aus leder.)

in der kleinen gasse zwischen reichenberger und dresdener, hinter dem geschäftskomplex, ist es immer dunkel, auch im hochsommer. und da ist ein garten, ein artig geharkter vorgarten, den ich noch nie gesehen habe. viel wächst dort nicht, dazu ist es zu dunkel. aber es gibt einen zaun, sicherheitshalber. maschendraht. etwas weiter steht ein mann in lumpen hinter einem transporter und wichst gegen eine wand.

ich bin nicht mehr vierzehn, als die erste begegnung dieser art mich noch geschreckt hat. ich bin vierundfünfzig, achselzucke und gehe weiter. ich ärgere mich höchstens, daß er von mir bekommen hat, was er wollte. ungefragt.

oder anders: ich sehe sie gerade noch, die kurze freude in seinem gesicht, als er sieht, daß ich ihn sehe. fast ein leuchten, das dann doch keines ist. das schreckt nicht, das öffnet einen abgrund an elend, an traurigkeit.

berlin ist nicht sexy, berlin ist gloomy. aber das versteht ja wieder keineR.

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