am anfang war das wort eine mischung aus wahrnehmung und klang

aufschrei(b)en (2)

bevor ich ein teenager war und eine fremde zunge in den hals gesteckt bekam, war ich ein kind. ohne zweifel ein kind meiner zeit, also eines der 60er und der frühen 70er jahre. als solches, und insbesondere als mädchen, das ich eigentlich gar nicht war, bin ich selbstverständlich entsprechend indoktriniert worden. wenn ich mich recht erinnere, habe ich nie so genau verstanden, was meine mutter mir eigentlich zu erzählen versuchte. vermutlich verstand sie diese art der einweisung als aufklärung. was einigermaßen lächerlich ist, vor allem weil mir speziell zum eigentlichen thema noch lange jegliches basiswissen fehlte. so war das – damals – tatsächlich. aufklärung mußte man sich suchen, eigenverantwortlich und am besten heimlich. und das war nicht einfach. wenn die fragen keinen halt und keine richtung finden, weil da einfach nichts konkretes ist.

so gab es also diese düstere angstkulisse, das war alles. da draußen lauerte eine unbekannte gefahr, irgendetwas männliches, mit angst, sex und gewalt hockte es im dunkeln und wartete. das stand fest, aber was eigentlich? denn alles blieb ohne worte, ohne bilder. doch es hatte auch etwas mit mir zu tun, mit etwas in mir, von dem ich selbst noch kaum wußte.

ich wußte nur: ein mädchen darf im dunkeln nicht mehr draußen sein. ein mädchen muß angst haben, immerzu, daß ihm etwas getan wird. (aber was nur?) und ein mädchen muß aufpassen, daß alles das nicht passiert. (was auch immer!) wenn es das nicht tut, dann ist es bald selbst ein böses mädchen. denn da draußen gibt es etwas böses, das sich die mädchen holt. alle, unwiederbringlich. (meine mutter ist ein kriegskind, muß man dazu wissen. wenn sie angst vermittelt, dann ist es ihre eigene angst. dann handelt es sich um nackte, wilde todesangst. das ist totes land und rohes fleisch, ein trümmerfeld.) häufig war auch von einem „schwarzen mann“ die rede, was für ein ein absurdes, im grunde abartiges bild, das in mir nach und nach zu etwas düsterem wurde. eine dunkle seele, einem mörder gleich. aber gesichts- und konturlos, hinterhältig, eine art monster.

eines abends war dieses monster dann tatsächlich hinter mir. auf dem weg nach hause, im dunkeln versteht sich, das läßt sich schließlich nicht vermeiden, manchmal ist es ja schon nachmittags um fünf dunkel. die straße, in der ich damals wohnte, außen entlang an der neubausiedlung, war nicht besonders belebt, nur an einer seite bebaut. ich weiß nicht, war ich zehn oder dreizehn? vielleicht jünger, auf keinen fall älter. und dieses düstere hinter mir, dieses monster sprach mich an. ich weiß nicht mehr, was es sagte, immerhin ist es fast vierzig jahre her. aber es will, daß ich stehenbleibe, mich ihm zuwende. das weiß ich noch, und ich tue es natürlich nicht. in mir grüble ich, was es denn will, das da, hinter mir. aber ich gehe weiter, ich gehe nicht schneller, nur weiter, immer weiter und stelle mich taub. das hinter mir läßt mich nicht los, es ist dicht hinter mir. und es bleibt mir auf den fersen, vielleicht minutenlang. bereits nach kurzer zeit ist mir das klar. wenn ich es genau überlege, dann sind es mehrere, wenigstens zwei. denn sie sprechen über mich, beschreiben mich, von hinten. und sie lachen. zirka 200 meter vor der haustür fange ich an zu rennen. ich rufe oder schreie nicht, ich renne nur. und friemel dabei den schlüssel hervor, den ich damals noch um den hals trug. auch das hinter mir rennt, und in dem moment weiß ich endgültig bescheid. ich bin das mädchen, das geholt werden soll. jetzt.

ich schaffe es bis zur tür, einen endlosen augenblick hänge ich mit dem genick am türschloß und drehe den schlüssel. dann bin ich im treppenhaus, die tür hinter mir ist zu. ich weiß nicht mehr, wie eng es war. ob es überhaupt eng war. ich glaube, ich wußte es auch damals nicht. eigentlich weiß ich bis heute nicht, was das eigentlich gewesen ist. wieviel ernst? wieviel illusion, aus indoktrinierter angst geschürt?

bleibt noch eine treppe, sechs stufen sind es bis zur nächsten tür. nicht viel zeit, um mich zu beruhigen. hinter der nächsten tür gibt es kein wegrennen mehr, auch keine weitere tür, die mich retten könnte. nur ein verkriechen in mich selbst, ein schweigen und verleugnen. hinter der nächsten tür wohnt eine andere angst. als kind war ich abhängig und verfügbar, immer und überall. dazu braucht es keine fremden düsteren monster. ich bin böse, dafür reicht familie. aber das ist eine andere geschichte.

aufschrei(b)en (1)

seit gestern oder so, vielleicht war es auch in der nacht davor, wird auf twitter ziemlich herumgeschrien. #aufschrei lautet der hashtag, unter dem eine wahre flut von kürzesten geschichten gepostet (160 zeichen) wird, in denen kurz und knapp von dem ganz normalen alltägliche sexismus berichtet wird. das ist lästig, zum teil aber auch grausam und immer wieder lächerlich. wenn es nicht so traurig wäre, so wüst und unverschämt.

ich selbst hielt mich zurück, ich bin wenig betroffen. ich werde nicht immer gleich als frau identifiziert, daher habe ich auch selten angst, draußen in der welt. wo auch immer. einzig dieser typ in der schallplattenabteilung fiel mir ein, als ich etwa 12 war und noch so klein, daß ich eine weile gebraucht habe, um zu verstehen, was der eigentlich an meinem arsch wollte.

so dachte ich.

bis mir dann bei der twitterlektüre immer mehr wieder einfiel. sachen, die ich längst vergessen hatte. der typ in köln, der mir mit weit offener hose nachlief. der malermeister in der lehre, der mir tapezieren beibringen sollte. statt dessen erklärte er mir, wie weiche hände kleister macht und daß sich da mein freund freuen würde. die schreiner, die zwischen kreissäge und hobelbank mit mir schweinchen spielen wollten, indem sie meinen letzten tampon zwischen sich hin- und herwarfen. nein, ich hab nicht mitgespielt. war mir zu blöd, ich hab einfach neue besorgt.

heute ernte ich vor allem verachtung. ich bin fast fünfzig und mit dem motorrad noch dazu mehr so das mannweib schlechthin. was natürlich unsinn ist. aber dennoch gehöre ich inzwischen offensichtlich in die kategorie, die kein mann mehr mit der kneifzange anfassen würde. so sieht das im alter aus, da ist frau die anmache einfach nicht mehr wert. aber auch das ist mir zu blöd.

gestern habe ich dann in einem kommentar bei karnele etwas über karneval geschrieben. und ich wußte nicht so  genau warum, nur daß das ja jetzt ansteht in ein paar tagen.

eben, auf dem weg vom tango nach hause, fiel es mir dann wieder ein: viele jahre ist es her, ich war 16 oder 17, da kam ich am rosenmontag von der arbeit nach hause, mitten durch den karnevalszug in der innenstadt von essen. das ist nicht so doll, nicht wie in köln oder so. nur ein bißchen gedröhne und getorkel, aber viel platz drumherum.trotzdem stürzte auf einmal ein betrunkener kerl auf mich zu, gröhlte etwas von: ist doch karneval. im nächsten moment habe ich seine zunge irgendwo tief hinten in meinem rachen. so kam es mir vor. keine sekunde später flog der kerl gegen die nächste wand, besoffene sind leicht zu killen. der ekel blieb dennoch, stunden, tage, soweit ich mich erinnere. abrufen konnte ich ihn noch jahrelang.

so war das. und wenn ich es genau überlege, war das wohl mein erster „kuß“. leider.

[ach so: 160 zeichen reichen nicht. bei weitem nicht.]

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