am anfang war das wort eine mischung aus wahrnehmung und klang

dreckstück

früher war ich ein wildes kind, hab ich mir sagen lassen. dabei habe ich nur im sand und in der erde herumgegraben, ich bin auf bäume gestiegen und habe an stöcken herumgeschnitzt. mit elf oder so bekam ich von meinem opa mein erstes taschenmesser. es war gelb, und ich trug es in der hosentasche mit mir herum, denn da gehörte es schließlich hin. auch in der schule hatte ich es immer dabei, niemand hat mich daran gehindert. ich reparierte damit mein fahrradlicht, wenn sein mußte, oder zog mit seiner hilfe den mantel wieder auf die felge. das messer war mein werkzeug, am wenigstens vielleicht die klinge. ich habe das gelbe ding sehr geliebt, bis es eines tages einfach auseinandergefallen ist.

ja, ich war ein wildes kind, ein halber junge, wie man damals sagte. vermutlich eher ein ganzer. ich kroch durch das gras im frühling und sprang im herbst in alle pfützen. im winter hackte ich mit den gleitschuhen löcher in die eisdecke der rodelbahnen. nur an die sommer erinnere ich mich kaum. dieses herumliegen auf den wiesen, dieses vater-mutter-kind-spielen. das war nicht meins. ich kugelte statt dessen die hänge hinunter, mit meiner kurzen lederhose und nackten beinen, im ringel-t-shirt. doch, das sehe ich genau. einmal hab ich mit zwei jungs ein kleines feuerchen gemacht, weit weg von allen, auf dem verwilderten grundstück vor dem fußballplatz. das war ganz leicht, und es ist gar nichts passiert.

aber natürlich war ich schmutzig, jeden abend, von kopf bis fuß. immer war etwas zerkratzt oder zerissen, an der kleidung oder an mir. und immer gab es ärger, wenn ich nach hause kam, nach getanem tagwerk. wo warst du, was tust du, wer bist du bloß. es wurde geschimpft und geschrien. ich wurde herumgezogen, erst in die eine ecke geschoben, dann in eine andere. meine klamotten wurden von mir entfernt und ich anschließend ins bad verbracht. dort wurde ich dann wieder sauber geschruppt, wie es sich gehört. andere sind doch auch nicht so verdreckt. guck dir die anderen an, die sind nicht so wie du. danach erst durfte der rest der wohnung betreten werden. danach durfte zivilisiert am tisch gesessen und gegessen werden, unter ständigem zetern und maulen. dreckstück. still sitzen und mund halten, nicht kleckern. ich.

füße waschen stand bei den abendlichen säuberungsaktionen ganz oben auf der liste. ausgerechnet die füße, ich weiß nicht warum. meine füße waren klein und sehr schön früher. sie haben mich überallhin weggebracht.

einmal sitze ich am abend nicht zuhause, sondern bei meiner oma auf der kleinen treppe in der küche und wasche mir selber die füße in einer blauen schüssel. meine füße sind grün, weil ich den nachmittag über meinen opa intensiv beim rasenmähen begleitet habe. meine kleinen grünen füße. genau in dem augenblick stehen plötzlich meine eltern in der tür, viel zu früh. ich soll abgeholt werden, zurück nach hause, doch ich bin noch nicht fertig. noch nicht sauber.

na, du müder krieger, sagt meine mutter da. und ich verstehe nicht. sie schreit nicht, sie schimpft nicht. sie ist ganz still. ich sehe sie wohl sehr fragend an, denn auf einmal lacht sie. weißt du nicht, sagt sie, wenn die soldaten abgekämpft und müde sind am abend. so bist du auch. ich verstehe nicht, was sie meint. natürlich nicht, was weiß denn ich vom krieg. was weiß denn sie. aber ich habe mich sehr gefreut, damals. vermutlich war es das einzige mal, daß meine mutter zu mir über krieg gesprochen hat. sonst haben wir ihn nur gelebt. schweigend, schreiend und seelenmordend.

doch ein kleiner müder krieger mit grünen füßen war ich gern für sie. dieses eine mal, an diesem einen abend.

13 Gedanken zu „dreckstück“

  1. Hi, die Geschichte kenne ich irgendwo her. Ach ja, von mir :-) Bei mir dachten früher auch alle, ich sei ein JUnge. Habe mit Autos gespielt, bin auch auf Bäume geklettert und trage bis heute noch gerne Sneakers :-) Aber eine weibliche Seite habe ich dennoch: Ich schminke mich nämlich gerne :-) Lg Carolin

  2. keine sorge, für mich gibt es kein falsches pronomen. wobei das gewählte schon irgendwie das „richtigere“ ist. ;)

    und mit dem wort „geschimpfe“ muß auch nicht gehadert werden. natürlich verharmlost das, aber hier steht ja auch nicht so viel. außerdem stellt der blick auf das schöne und grandiose mitten im dreck auch eine art schutzraum dar. oder?

  3. Ja, kann mir diesen Schutzraum schon vorstellen. Ich lese halt so viel in deinem Text zwischen den Zeilen (ich hoffe, nicht mehr als eigentlich da steht^^), das ich mit diversen autobiographischen Büchern und meiner eigenen Selbstreflexion verbinden kann, dass die Aussage mir doch sehr wie eine Verharmlosung vorkommt.
    Wenn du das jedoch nicht so empfindest, ist ja alles gut.

  4. wieviel du aus dem text heraus- oder in ihn hineinliest, weiß ich natürlich nicht. die abgründe sind absichtlich tief und stehen mehr oder weniger offen. meines erachtens sind solche texte genau dazu da, sich etwas herauszuholen oder auch etwas hineinzugeben. je nachdem.

    persönlich könnte ich mich natürlich gegen die durchaus gegebene verharmlosung wehren. ich habe aber kaum das bedürfnis danach, schon gar nicht öffentlich. das macht meine person nicht aus. ich bestehe nicht auf dem erschrecken von menschen, die dieses nicht kennen oder nicht erkennen, ob sie es nun nicht können oder nicht wollen. daran kann ich schließlich nichts ändern.

    vor langer zeit habe ich mal ein sehr kurze geschichte geschrieben und öffentlich gelesen, woraufhin eine verstörte zuhörerin völlig verzweifelt immer wieder nur sagte: aber das ist pathologisch! so sehr hat es sie getroffen, daß sie innerhalb der geschichte keine lösung zur verfügung gestellt bekam. damit mußten wir dann leben. so ist das.

    aber selbstredend liegst du vermutlich recht nah an der „wahrheit“, wenn du zwischen die zeilen tauchst. auch wenn du natürlich nicht wissen kannst, wie die genaue ausprägung gewesen sein mag.

  5. ungeachtet der ausgesrochenen und unausgesprochenen grausamkeiten ist in diesen schilderungen doch durchaus etwas grandioses. die lebendige naturerfahrung, die ungebrochene körperlichkeit. da ist etwas „unbeschädigtes“ das vielen behüteten fernseh- und iphonekindern heute fehlt. das darf man doch auch sagen ohne gleich dem vorwurf der verharmlosung ausgesetzt zu sein?

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