hier ist es ein wenig laut, immer schon. daran habe ich mich gewöhnt, auch wenn ich die stille aufgrund der aktuellen straßensperre derzeit sehr genieße. besonders nachts. alle anderen geräuschvollen aktionen, deren menschen so fähig sind, haben natürlich nicht abgeneommen. im gegenteil, der menschenlärm in meiner ecke von neukölln scheint stetig zuzunehmen. es wird lautstark telefoniert, heftige musikbeschallung aus autos gehört quasi zum guten ton, wie auch hunde, die sich wild anbellen, gefolgt von menschen, die sich nicht weniger wild anbrüllen. eher noch wilder. die täglich pünktlich erscheinenden metadonkunden der hiesigen substitutionspraxis streiten sich eher harmlos dagegen, auch die nächtlichen leergutsammler mit ihren scheppernden einkaufskörben sind korrekt und zielstrebig unterwegs. ansonsten werden auch mal die stühle und tische der ansässigen gastonomie umgestoßen, wenn der ehekrach sich nicht anders bewältigen läßt, und papierkörbe sind schnell mal mit ein paar fußtritten geleert, warum auch immer. jeden morgen bin ich froh, wenn mein motorrad noch steht. (der schnitt des einfachmalumgeworfenwerdens liegt bei etwa einmal im jahr, schätze ich.)
tag und nacht geht das hier so, aggressiv und zunehmend ungehalten. im sommer natürlich ganz besonders, wenn das gemeine neuköllner wohnzimmer sich unmittelbar vor meinem schlafzimmer zu befinden scheint. wie vor vielen anderen schlafzimmern wohl auch.
neulich gab es eine schlägerei direkt unter meinen balkon, am hellichten tag. irgendwas mit straßenverkehr, und einer der kontrahenten riß sich unmittelbar vor der prügelei demonstrativ sein t-shirt vom leib, um halbnackt in aktion zu treten. (warum machen männer sowas?) die polizei kam, man sprach englisch und deutsch und noch mehr sprachen. dann wurde es wieder still, als wäre nicht gewesen. außer anzeigen, vermutlich.
gestern nacht brüllten ein paar besoffene, immer wieder ging das los, über stunden. dazwischen ein paar frauenstimmen, die beschwichtigten oder anfeuerten, keine ahnung. jedenfalls war es lästig und laut. so sah das wohl auch ein nachbar von schräg gegenüber, der auf seinen balkon trat, ein telefon in der hand, und verkündete: ihr seid laut, ich ruf jetzt die polizei, okay?
auf diese präzise ankündigung rannte einer der herumbrüllenden auf den balkon zu, warf nebenbei schnell noch eines der temporären straßenschilder um, und brülle dann den mann an, der dort oben stand und tatsächlich telefonierte. das meiste war unverständlich, vernuschelt und zerkaut. ich weiß, wo du wohnst, schrie er schließlich, kurz bevor die polizei kam und den lästigen haufen in zwei minuten auseinandertrieb.
ich weiß, wo du wohnst, gleich mehrfach. ich weiß, wo du wohnst, mit nachdruck. zu dem mann, der immer noch mit dem telefon in der hand auf seinem balkon stand.
da mußt ich dann doch lachen.
liebe Susanne,
in Erinnerung: Deine fantastischen Texte zu den SIEBEN TODSÜNDEN und imemr noch ein Stapel der „Kataloge“ in meinem Archiv.
Zu meinem Programm „LEICHTER WERDEN“ könnte eine Sendung an Dich in Berlin gehen, wenn Dich denn diese Auseinandersetzung noch interessieren sollte.
ein sonniger Gruß aus den Bergischen Wäldern in den nahen Osten
Boris (20. Jhdt.)
http://www.heine-kunst-kiosk.de
http://www.meissnerkunst.de
So wenig verbindet uns, wenn wir ehrlich sind, mit anderen Menschen, so mangelhaft sind unsere Möglichkeiten, das wenige mitzuteilen und zu erfahren, dass ich die einzelnen Stellen, an denen wir uns berühren, schmerzhaft und glücklich empfinde, dass ich sorgsam mit ihnen umgehe, sie mögen unscheinbar, sie mögen winzig sein, wenn sie nur wirklich sind.
Navid Kermani, Das Buch der von Neil Young Getöteten.
hallo boris, danke, daß du an mich denkst, aber ich hab ja den „katalog“ noch von damals. das reicht, ich will mich ja auch nicht unnötig beschweren. ; ) beste grüße aus neukölln, susanne