diese zweidimensionalität, diese menschenleere. keine stimmen zu hören im raum, keine begegnungen beobachten zu können. und auch selbst: nicht mehr reden ohne menschen. nichts mehr sagen, nur noch schweigen.
wo ist mein körper, meine stimme, mein leben?
* ja, ich weiß auch, dass es nicht verbot heißt, es heißt beschränkung.
aber das ist es nicht. für eine alleinstehende tangotänzer*in im homeoffice und ohne familie ist es die reine leere. es ist total. und es bleibt. es bleibt.
aspritation. das ist ein wort für hoffnung, habe ich gelernt. hoffnung und bestreben, letzteres in durchaus ehrgeiziger ausprägung. es ist ein bildungssprachliches gebilde dieses wort, so heißt es, ein monstrum fast. deshalb kannte ich es bislang wohl auch nicht, zumindest nicht in dieser bedeutung.
aspiration in seiner medizinischer bedeutung, das habe ich auch gelernt in letzter zeit, hat mit atmung zu tun. genauer mit dem einatmen von material, das nicht eingeatmet werden sollte. verschlucken heißt das auch, irrigerweise. es gibt einen falschen hals, in den hinein aspiriert werden kann. doch auch das normale atmen, ein und wieder aus, transportiert fremdkörper. trägt das virus in die welt, so sieht es aus.
hoffnung also und falsche atmung. dass es das atmen ist, tatsächlich, der normale menschliche atem. der die freiheit verdrängt, die leichtigkeit des alltags, der begegnung im tanz.
70 tage inzwischen. andere zählen anders, ich sage 70. da war ich das letzte mal unter menschen, auf einem geburtstag in mitte. genau heute.
danach bin ich noch exakt dreimal im büro gewesen, mehr nicht. später war einmal jemand gast in meiner küche, über eine stunde. wir haben rührei gegessen und kaffee getrunken. das reden war vermutlich das schlimmste vergehen, wie man heute weiß. das atmen im selben raum. gestern war ich eis essen und dabei auch über längere zeit nicht allein. wir haben auf einer bank gesessen, draußen, und über das manuskript geredet. dann haben wir noch einen kaffee getrunken, das hat gedauert. und der abstand war zu keiner zeit ausreichend, dafür sind selbst die im grunde überdimensionierten berliner bürgersteige zu schmal. zumindest mit all den menschen.
darüber hinaus gab es nur kurze begegnungen mit kassierer*innen, apotheker*innen, einem optiker, der frau im späti gegenüber und dem menschen im blumenladen, den ich nach den susannen gefragt habe. mit maske. das atmen unter der maske ist schwer, besonders an tagen, an denen die rechte nebenhöhle mir sowieso das rechte nasenloch verklebt. dann will ich flüchten, wie damals. durch die nächte, die wände, durch alles. zurück zu mir, wo ich zuhause bin. aber wo ist das, heute?
angefasst habe ich niemanden, auch mich hat niemand berührt. 70 tage, ohne tango.
draußen, der himmel, ein hauch von rosa und blaues grau oder graues blau. die letzte kälte hat sich niedergeschlagen, heute. oder letzte nacht, über nacht. dazu der regen.
ich bin nicht mehr ich seit ein paar tagen. ich bin nichts, ohne ein gegenstück, ein spiegel vielleicht. oder licht in einem glas oder wind, für eine weile. für die haut.
der raum wird eng, mit jedem tag, jeder raum. ohne hoffnung, ohne träume. ohne tanz auch, ohne musik sogar, seit wochen. früher war das anders.
ich ertrage sie nicht mehr, die häme der schwarzseher*innen, ihre menschenverachtung, vor eine kalte angst geschoben, die schmeckt wie hohn. als gäbe es keine hoffnung, kein vertrauen mehr in die welt. in die menschen auch, die doch alles so gut als möglich machen. die meisten, so gut wie immer.
wer sieht noch darauf, sieht das im grunde unverkennbare. dass es eine stille, kluge masse ist, die die welt trägt. immer schon. nicht die großschnauzen und selbsternannten prachtkerle, die namen und bilder und denkmäler für später.
was glaubt ihr denn? ihr menschen, die ihr die menschen verachtet.
egal, was gelockert oder geöffnet wird in nächster zeit. das mit der distanz wird bleiben, überall.
da habe ich jetzt also ein buch geschrieben, über nichts anderes als nähe. davon geträumt in der nacht, wort um wort in den text hineingeatmet. in die denk- und zwischenräume, in das elende gestrüpp dieser welt.
innen ist immer alles gut, das muss man wissen. auch allein ist inzwischen alles gut, bestens sogar. ich gehe einfach dahin, wo ich hergekommen bin. das ist nichts, da kenne ich mich aus. und manches ist sogar besser. ich bin nicht nur allein, es ist auch niemand hier. das ist das beste.
ich folge den dingen, ihnen bin ich nah. seit jeher. ich baue nicht nur, ich spüre, ich forme. manchmal ist es liebe. und es ist schönheit, das auf jeden fall.
alles wird immer schöner.
möglich, dass ich noch einmal beginnen werde. alles, nur anders. klarer und ohne die angst des ungewissen.
den weg will ich gehen.
ps: es ist beltane heute, jetzt. die nacht der körper, der liebe. der nähe auch, das ist normal. nichts anderes gilt.
zu hause bleiben ist kein problem, zu hause arbeiten auch nicht. es ist lästig und unkomfortabel. das ist alles.
was mich zerstört sind am ende doch immer die worte. erst ist es „kontaktbeschränkung“, dann „kontaktsperre“ und schließlich „kontaktverbot“. es nähert sich, immerhin.
doch wenn isolation die absicht ist, sollte man das auch genau so nennen; und nicht anders. dann ist klar, worum es geht.
es ist nicht menschlich, menschen den kontakt zueinander zu verbieten. es bricht die kraft, die die menschheit trägt, ihre eigentliche macht. das ergänzende miteinander, ohne das kein mensch je in einer höhle hätte überleben können.
das ist normal. es gibt kein neues, kein anderes nah.
wenn auch menschen mit laptopkamera und headset bewaffnet, wie ich selbst mitunter. oder zu zweit im abstand von zwei metern, gesichtslos hinter masken. wie auch ich, doch das ist nicht normal. also soll es nicht so heißen.
das ist kein tango, kein tanz. das wird es nie sein.
menschen sind körper und gesicht, selbst ihre stimmen im luftraum, von einem zum anderen, kehle, mund und hirn, und wieder zurück.
wenn es das ist, was auf einmal gefährlich wird. dann will ich tun, was ich tun will, was immer es kosten mag. aber niemals die lüge.