mein kleiner bruder ist intelligent, hochintelligent sogar. er hat sich eine schlechte zeit dafür ausgesucht, damals, in den 60ern, wurde zwar ein test gemacht, und ein raunen ging durch die masse der lehrerschaft: so einen hatten wir noch nicht! sonst wurde aber nicht weiter reagiert. es ist anzunehmen, daß der arme kerl in der folgezeit vor langeweile gestorben wäre, hätte er sich nicht eigenartige würfelspiele ausgedacht und diese dann stundenlang mit sich selbst gespielt. mathematik selbstgemacht, mit wachsender begeisterung und einer leichtigkeit, die wir normalwesen nur schwerlich begreifen.
ich selbst hingegen weigerte mich fortan, und bis heute andauernd, öffentlich zu rechnen. der vorführeffekt, der den bruder hätte treffen sollen, wurde von mir ausagiert. vielleicht zusätzlich, also letztendlich doch auch von ihm selbst, was weiß ich? gesprochen haben wir wenig. über die kinderspiele hinaus gibt es nichts, was ich erinnere. nur, daß ich mit dem bruder ball gespielt habe, daß ich die autorennbahn aufbauen mußte, weil er es nicht konnte. und jeden lieben tag die eine runde spazierengehen, damit das schlaue brüderlein auch mal an die luft kommt. selbst wenn er ohnehin immer nur zu dem strommast wollte, um dort ehrfurchtsvoll zu verharren. um aufgeregt und schwitzend nach hoch oben zu sehen. um diese riesige energie zu ehren, ganz offensichtlich. da war er noch nicht in der schule. (erzähle mir also niemand jemals irgend etwas von schulreife. für soetwas werden schulen wohl nie reif genug sein. können.)
was machst du, wenn sie streiten und schreien? das ist der einzige wirkliche dialog zwischen uns, an dem ich mich erinnere. wir liegen im bett, im gleichen zimmer und draußen vor der tür ist krieg. ich schließe die ohren, sage ich. aber was, wenn es tote gibt? sagt er, fragt er, der kleine bruder. so ist es, denke ich. tag für tag, und er weiß es auch. zwischen seinen würfeln und zahlen hindurch sieht er hinaus in dieselbe welt. das überrascht mich beinah. dann morde ich zurück, sage ich laut. aber ich weiß, daß ich schweigen würde. leben mit der leiche, so wie immer. da bin ich vielleicht zwölf. und er acht. vielleicht bin ich auch schon vierzehn, dann wäre er zehn gewesen. ich weiß es nicht mehr so genau, ich rechne nicht öffentlich. niemals.
der bruder ist das sonntagskind, und ich bin der esel. ich trage die last, ich weiß und ich sehe. alles. doch ich schweige. während er seine zahlenkolonnen untereinanderschreibt und dabei schwitzt vor aufregung, vor freude. ich bin es auch, der mein vater erklärt, daß der einfachste weg ein großer blauer müllsack ist. schön fest zumachen, von innen. danach muß das ganze nur noch irgendwer wegschmeißen. eine saubere lösung also. da bin ich sechzehn, wenn ich mich recht erinnere. von meinem bruder weiß ich nichts aus dieser zeit. er rechnet, er würfelt. er ist ein sonntagskind. und ich bin das tier, das die lasten trägt, die man ihm auferlegt. immer. der esel schleppt und schweigt.
ich kenne nur zwei vokale. und wenn ich schreie, schreie ich. (bis ich dann schreiben kann.) und wenn ich nicht mehr will, dann ist es aus. so ist das. ich weiß das. und alle anderen auch.
ich rechne nicht öffentlich. ich mache auch keine intelligenztests, ich will es nicht wissen. ich will keine erwartungen wecken, nicht einmal in mir selbst. ich bin an einem donnerstag geboren, das muß reichen. das mußte es immer schon. gestern hat es mich dann doch erwischt, ganz nebenbei, ganz zufällig. warum muß ich auch blogs lesen? von hier ging es direkt nach da.
erst wollte ich das ding nur bookmarken, für eine weile, um es schließlich – unbesehen – irgendwann wieder rauszuschmeißen. so wie immer, ich rechne eben nicht. punkt. aus. schluß. das geht mich nichts an, das gehört dem bruder.
aber dann habe ich reingesehen, immerhin, und letztendlich habe ich es eben mal so hingefuscht. ohne groß zu überlegen. soetwas kann man doch nicht ernst nehmen. wer vergleicht da was? und womit? es ist unsinn, weiter nichts. denke ich. keine acht minuten hat es gedauert, die 40 fragen durchzugehen. wohl weil ich die mathematikaufgaben nur geraten habe, gar nicht erst gerechnet. die zahlenreihen und so, das war mir einfach zu blöd. (oder es war zu öffentlich. ;-) die graphischen und geometrischen sachen fand ich vergleichsweise leicht und lustig. das sprachliche? naja, was soll ich sagen? auch die fragen habe ich eher nebenbei beantwortet, kaum daß ich die zeilen komplett durchgelesen hätte. mehr so draufgesehen habe ich, als wäre es ein bild. trotzdem war es eindeutig, auf den ersten blick.
die auswertung weist mich als vokabalkrieger aus. ich bin außergewöhnlich sprachbegabt und kommuniziere auf höchstem niveau. darüber hinaus bin ich natürlich kreativ und visionär. undsoweiter, undsofort. das ist ja keine überraschung.
die zahlen hingegen, den intelligenzquotienten oder wie das heißt, kann ich nicht interpretieren. ich habe kaum die hälfte der durchschnittlich benötigten zeit an diesen test verschwendet, dennoch ist das ergebnis dreistellig. (vermutlich liegt das aber lediglich an meinem alter, das ich ganz zu anfang angeben mußte. ich hätte die fehlenden zwei monate unterschlagen und aufrunden sollen. so leicht wäre eine weitere wertsteigernde manipulation gewesen.)
letztendlich hat es keine bedeutung, denke ich. so wie es für meinen bruder keinen unterschied gemacht hat. er hat da leben müssen, wo auch ich gelebt habe. und das ist es, was den unterschied macht.