am anfang war das wort eine mischung aus wahrnehmung und klang

bonding (94)

zweiundzwanzig ist fertig, ausgedruckt und abgeheftet. wieder weit über das ziel hinaus geschossen und fast dreimal soviel wie gedacht geschrieben. aber da habe ich eben falsch gedacht, vielleicht aus sicherheitsgründen. damit ich nicht vor angst in die knie gehe, wenn ich mir vorher klar vor augen führe, was es tatsächlich zu tun gilt. das material selbst, den stoff kenne ich genau, und ich weiß um die notwendigkeit der belebung. das kostet zeit und kraft, sammelt seiten und ist die einzige möglichkeit. zu schreiben, zu leben. alles andere wäre selbstbetrug. wie auch betrug an der literatur.

ein ende ist also geschafft. jetzt kommt das zweite, das vermeindlich kleinere. und das eigentlich schwerere, weil da noch vieles geklärt werden muss. morgen muss ich also lesen, die binnengeschichte, das alles noch einmal in mir entfalten. um auch das abzuschließen. viel mehr sollte ich mir nicht vornehmen, vielleicht für das gesamte wochenende nicht.

ziemlich genau vier wochen gebe ich mir für dieses ende, das wirkliche ende. seitenzahlen, wie neulich schon gesagt, verkneife ich mir besser. die erfahrung der letzten monate spricht dafür, da lag ich immer sehr daneben. aber wenn es so etwa dreißig werden, käme das manuskript letztendlich auf zirka vierhundertfünfzig seiten. das klingt doch fett und satt und rund.

nein, das klingt unglaublich!

nebenbei sammel ich neuerdings frische arbeitstitel und schreibe sie mit den alten in eine kleine textdatei. auf einmal kommen sie, ich weiß nicht, woher. und warum. das ist auch alles nicht wirklich gut, bis auf einen vielleicht. den ich hier natürlich nicht verrate, wo kommen wir denn da hin.

buchtitel sind schwer, unfassbar schwer. zu suchen, zu finden, eigentlich nicht möglich. im grunde hänge ich auch immer noch an „bonding“, was es exakt treffen würde. aber das ist englisch, und es lässt sich so gut wie nicht übersetzen. das, was ich meine. darüber hinaus macht die andere bedeutung es für meine zwecke komplett zunichte. in beiden sprachen. das ist gemein, das denke ich jetzt seit jahren.

exodus

schreiben. das ist irrsinn, im grunde. jetzt, gegen ende eines solchen projekts, sehe ich es wieder überdeutlich. es ist der reine wahn.

jahrelang ist es wie ein spiel im inneren universum. es ist traum und quälerei, konstruktion und zufall. und niemand sieht mir zu dabei. ohne rücksicht drehe, schiebe und biege ich die dimensionen.

in ein ausgedehntes momentum des eigenen seins.

das am ende in eben dieses eigene hinein exodiert. das ich. dieses kleine ich in dieser großen welt. das dem niemals genügen wird.

was geschrieben steht.

bonding (93)

kapitel zweiundzwanzig ist durch, fürs erste zumindest. bis nächste woche in der gruppe lasse ich erstmal alles liegen, danach wird es ein paar feinheiten zu korrigieren geben. da habe ich keine zweifel. einstweilen stimme mich auf das letzte kapitel ein, das ja ganz anders sein wird. es bedient nicht denselben erzählstrang, greift eine völlig andere stimmung, eine andere geschichte auf. und die will noch gefunden werden.

nicht wirklich natürlich. ich weiß durchaus, wo ich hinwill. oder hinmuss, das spielt auch mit. immer. doch ich weiß genau den letzten moment, ein ende, das sich gleich wieder öffnet. was aber gefunden werden muss sind aufbau, struktur und ablauf. das letzte stück weg, bis zum letzten punkt.

das ist beängstigend, ja. ich weiß das, ich spüre das. mit jedem atemzug wird es schlimmer. andererseits funktioniert alles wie sonst auch, auch jetzt.

am ende geht alles schritt für schritt und wort für wort. ich begleite die story, gehe an ihrer seite. und wähle, was es noch zu sagen gilt.

mehr nicht.

bonding (92)

das erste von drei aufeinanderfolgenden erweiterten schreibzeitwochenenden zu hause geht zuende. ich höre jetzt auf zu arbeiten, besser ist besser. obwohl ich noch stunden weiterschreiben sollte, soviel liegt noch in diesem vorletzten kapitel. verborgen. vergraben. aber da ich morgen ohnehin nicht weiterachen kann, ab morgen ist geld verdienen im brotbürojob angsagt.

ich fasse nicht, wie ich in letzter zeit immerzu derart danebenliege. ich sollte es lassen, das seitenplanen und seitenzählen. zügig zu erledigende fünfzehn waren geplant für das aktuelle, vorletzte kapitel. lächerlich, im nachhinein betrachtet. nicht nur, weil ich inzwischen einunddreißig geschrieben habe und noch nicht fertg bin. auch und vor allem, weil ich es vorher hätte wissen müssen. die masse des materials, die intensität, dass es um ein ende geht, einen abschluss. das alles hätte mir hinweis sein müssen, worum es wirklich geht.

andererseits ist es ein glück zu sehen, dass ich mich immer vom material beherrschen lasse. oder lenken zumindest. wie auch sonst? was bin schon ich? ich zwinge den stoff nicht in meine armselige vorformulierung. ich weiß um die wichtigkeit der improvisation, gerade auch beim schreiben. woher sonst käme der klang, der atem, das leben.

am donnerstag also geht es weiter. erst ein paar noch grobe passagen ausweiten, dann noch einmal von vorne bis hinten durch die gestern und heute neu geschrieben seiten. am freitag. danach dann sofort ins nächste, ins letzte kapitel

dafür bleiben drei wochenenden, erweiterte schreibzeit zu hause. dann ein kurzer ausflug nach leipzig, zur messe. schreibzeitunterbrechung, das muss möglich sein. das ist vielleicht sogar wichtig, in dem fall. danach noch einmal zwei fette wochenenden, bevor die osterfreizeit beginnt.

jetzt habe ich schon wieder durchgerechnet und zeit gezählt. was für ein unsinn. immerhin verrate ich nicht, auf welche ziffer sich meine seitenzahlvoraussage für das letzte kapitel beläuft. sie mir selbst zu verheimlichen, war mir jedoch nicht möglich. leider.

schluss jetzt, nichts

alles wird anders, immerzu. zu der schreiberschöpfung gesellt sich neuerdings eine gewisse aufgeregtheit. zunächst im text, da nähert sich der vergangenheitsstrang dem gegenwartsstrang bis auf ein paar monate. und auf einmal verwechsle ich permanent die zeitformen. ich starre bruchteilsekunden auf das wort „klang“, ohne zu verstehen. ohne zu wissen, ob es eine gültige verbform darstellt. von der bedeutung ganz zu schweigen. so lange starre ich, dass ich sie nicht nur spüre, die leere und hilflosigkeit in meinem hirn. die zeit steht, und ich kann sie für einen augenlick betrachten und studieren. die zeit und die leere.

gut, das ist das, das ist normal. irgendwie. zumindest der schreiballtag, die schreiberfahrung, die schreiberschöpfung. gleichzeitig nähert sich der text insgesamt dem jetzt. meinem jetzt, meiner wirklichkeit. wenn ich in ein paar wochen fertig sein werde, dann wird er relativ zügig gelesen und gewertet werden. von meiner privaten testleserschaft, sorgfältig zusammengestellt, wie auch in der agentur. und dann: was weiß ich!? jedenfalls wird er nicht jahrelang irgendwo einen papierstapel bilden, wie der erste roman. damals. auch an dem punkt starre ich in die leere und die zeit. und verstehe nichts.

überhaupt, dieses nichts. dieses schreiben ist mir mehr und mehr zu meiner buddistischen praxis geworden. so gesehen waren die letzten jahre ein heart-core retreat, in dem ich mich vielfältig und nachhaltig schlecht benommen habe. unaufmerksam war ich, rücksichtslos, vor allem mir selbst gegenüber, und weitgehend verwirrt. auch das ist ziemlich normal. und gut geschrieben habe ich in diesem zustand, hoffentlich.

ich weiß nicht, wo und wie ich da am ende herauskommen werde. noch kann ich nichts davon sehen, nur die angst. weil alles immer anders ist. es gibt keine garantie.

bonding (91)

einiges ist mir klargeworden mit dem heutigen schreibreichen tag.

zum einen war ich zu schnell. nicht im schreiben, obwohl vielleicht auch das. vor allem aber im denken, in meinen erwartungen an mich selbst. das aktuelle kapitel lässt sich nicht einfach so zügig runterreißen. quasi wie nebenbei. es lässt sich auch nicht ohne sorgfältige konzentration knapp halten, immerhin umfasst es etwa zwei jahre. es soll ja durchaus knapp sein, hat aber bei aller knappheit das plansoll jetzt bereist überschritten. wie schon so oft in der arbeit an diesem text. form und länge findet sich weitgehend von allein, und auch der inhalt enthält immer razum für improvisation.

zum anderen habe ich begriffen, dass ich wohl zweimal ein ende schreiben muss. schließlich habe ich zwei erzählstränge, und beide verdienen einen sauberen abschluss. am ende sogar einen zusammenschluss, von dem ich noch keinen schimmer habe.

aber das kommt erst im nächsten, im letzten kapitel. daran denke ich jetzt nicht. es geht immer nur schritt für schritt, sonst geht es nie.

bonding (90)

schwerer einstieg, ich weiß nicht warum. vielleicht will ich zuviel oder zu schnell. keine ahnung. doch es macht mir angst, wie weit es mich aus dem text getrieben hat. in ein paar tagen nur.

vielleicht ist es die erschöpfung, das hirn, das nicht mehr kann. das nicht mehr will, nur noch vergessen. das wäre gut, denn das ist nicht tragisch. das ließe sich lösen, irgendwie. da hätte ich möglichkeiten.

aber vielleicht ist es schlimmer. vielleicht verliere ich den zugang und der text geht mir flöten, so kurz vor schluss. da ist alles wichtig, jedes wort, das ich setze. und jedes, das ich lasse. im moment aber funktioniert nichts davon. ich sehe auch nichts, ich spüre nichts. alles ist leer.

wenn das der fall ist, dann weiß ich nicht. dann ist alles nur noch glück. oder verzweiflung, wenn ich pech habe. obwohl ich das ende natürlich auch erzwingen könnte. doch das wäre schlimm. das wäre verrat.

und tatsächlich habe ich heute ein paar seiten geschrieben. wie blind, einfach den vorgaben entlang, die es ja geben muss. am ende mehr denn je. und die es zum glück auch gibt, sonst ginge jetzt gar nichts. da steht nun also etwas, ich weiß nicht genau was. da muss ich morgen mal sehen. auch das acht mir angst.

vielleicht ist alles auch noch anders. am anfang, selbst von vielen, vielen seiten, ist mir das schreiben wie der umgang mit feinen fäden oder garn. alles ist leicht und noch kaum zu erkennen. es fliegt durch die welt und ist schneller verschwunden als eingefangen. später sind es stränge, die ich ineinanderflechte. die ich mit kraft in schwung bringe, sie an ihren platz werfe oder wenigstens in die richtung. wo sich sich dann sorgfältig niederlassen, irgendwo in der nähe zumindest. inzwischen hantiere ich seit einiger zeit mit schweren tauen, von denen ich jetzt nur noch kurze stummel in den händen halte. die muss ich an die jeweils richtige stelle biegen, mit aller kraft, und sie dort befestigen. dann das ende verschwinden lassen, es möglichst unsichtbar machen, das auch noch. an dem einzigen ort, wo sie sowohl halten als auch sinnvoll wirken können. es gibt nur einen.

und den ort zu finden.

das ist nicht leicht.

das kostet kraft.

bonding (89)

die feinheiten in kapitel einundzwanzig waren dann doch ein wenig aufwendiger. anstrengend auch, aber jetzt bin ich durch. außerdem habe ich einer der nebensten nebenfiguren noch ein wunderschönes standing schenken können. das rührt mich dann selbst, manchmal. ein bisschen.

gestern dann in die zweiundzwanzig. guter, leichter einstieg, etwas mehr als eine seite. heute dagegen war das schreiben ein ziemlicher krampf. es ist nicht mein liebstes, grob durch das material zu pflügen. doch erst wenn da etwas steht, ganz wenig nur, ganz unsauber meinetwegen. dann klärt sich mein blick. dann kann in den text sehen, die struktur, nach der er verlangt. dann kann ich ordnung schaffen.

so stehen da jetzt sieben seiten, das ist gut. bis auf den letzten, den emotionalsten teil, hab ich alles erfasst. grob und unfertig, aber damit lässt sich arbeiten. das weiß ich. das ist sicherer grund. nur lesen darf das so niemand. das wäre peinlich.

das ist viel. für heute kann ich nicht mehr. das heißt, eigentlich meine ich gestern. aber egal. ab morgen, also heute, wird es feiner und besser. hoffentlich, aber sollte es eigentlich.

ich bin müde. ich weiß nicht mehr, was ich bin. ist aber egal, auch das.

geht vorbei.

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