am anfang war das wort eine mischung aus wahrnehmung und klang

keine klagen (76)

natürlich ist es so gut wie unmöglich, die gleiche ruhe und entspanntheit, diese völlige verfallenheit in literatur zu erreichen, wie das vor ort der fall ist. in klagenfurt, am lendhafen vor allem. ich weiß gar nicht, wie ich das früher gemacht habe, als ich noch nicht jahr für jahr im sommer extra angereist bin. ein extravaganter urlaub, am anfang weit jenseits meiner kapazitäten, und auch heute noch eine durchaus kostspielige angelegenheit, zumal ich im letzten jahr angefangen habe, einen aufenthalt in wien anzuschließen. einen richtigen, nicht nur die warterei am flughafen.

nun ja, in diesem sommer ist es billig. ich sitze in meinem wohnbüro, an meinem schreibtisch, wo ich immer sitze, zumindest in den letzten monaten. die rundfunk- und fernsehgebüren sind bezahlt, das internet sowieso. und ich versuche mich zu erinnern, wie das denn früher war. als ich sowieso immer nur vor dem fernseher saß, weil ich gar nicht wusste, dass man da einfach so hinfahren kann. damals ging es am mittwoch schon los, und ich war wie gebannt, die ganze zeit. vermutlich habe ich da einfach noch nicht so viel gearbeitet.

heute also sitze ich an meinem arbeitsplatz und muss noch ein bisschen was erledigen, ich bin spät, also reichen die erledigungen weit in den ersten text hinein. in die diskussion auch noch und dann in den zweiten text. das wäre am lendhafen nicht passiert. ich schaue auch viel mehr nach twitter, was ich in en letzten jahren überhaupt nicht mehr gemacht habe. da waren die leute ja da, irgendwann später. am see oder am hafen. unweigerlich. stattdessen habe ich nur noch in die texte geschaut, die es vor ort ja immer gibt. hier ist es anders, und es bleibt anders. in der mittagspause gehe ich zum späti, um ein paket abzuholen. dann rette ich die tomaten auf dem balkon mit einem eimer wasser. meine tomaten, mein wasser. mein neukölln. so richtig glücklich bin ich nicht damit.

ein wenig hatte ich mir gedanken gemacht, wie es wohl sein würde, das alles auf einmal wieder so zu erleben. es zu hören und zu sehen, ohne das gefühl, dass sich all das ganz in der nähe befindet. das bild, der ton würde doch dasselbe sein. dachte ich. aber zum einen kann ich insbesondere im lendhafen wegen der sonne oft gar kein bild erkennen, da höre ich vorwiegend zu und lese ein wenig mit. zum anderen ist ja in diesem jahr alles anders. es wird nicht live gelesen, die lesungen sind aufnahmen im bühnenbild mit schnitt und zusammenschnitt. zum anderen ist die jury von null auf hundert ziemlich auf krawall gebürstet. quasi vom ersten test an, angestachelt durch den neuen jungspund im team. das klingt so ganz anders, wenn die sich digital angiften.

was den jungspund angeht, so weiß ich noch nicht genau. könnte sein, dass hier und da etwas dran ist an dem, was er von sich gibt. bislang brint er es aber nicht rüber. morgen werde ich mal besser hinsehen müssen.

morgen werde ich auch ein wenig mehr ruhe haben, hoffe ich. hab noch einiges erledigen können, nachdem die lesungen vorbei waren und ich ja nicht an den see zur bürgermeisterin musste. ich meine: durfte. sogar die mal wieder eilig zwischengeschobene spontanübersetzung ist grob durch.

ja so ist das hier. alles erledigt. ich auch.

ich wünschte, es wäre anders. alles.

keine klagen (75)

wie könnte ich nicht in diesem jahr? klagen!

ich muss, denn ich bin nicht dort, in klagenfurt, weil (so gut wie) niemand dort ist. alle sitzen sie mit ihren ohrstöpseln vor irgendwelchen mehr oder weniger wohl gewählten hintergründen. das inzwischen so vertraute studio ist dunkel und leer, so gut wie zumindest.

am montag wäre ich nach münchen aufgebrochen, hätte dort den dienstag mit netten menschen verbracht und wäre heute mit dem zug durch die berge gezuckelt, um pünktlich zur lesung der stipendiaten im musilmuseum, gleich gegenüber dem bahnhof, einzutreffen. dann wäre ich in meine absolute lieblingsunterkunft zwischen studio und lendhafen eingekehrt, die ich mir für dieses jahr frühzeitig hatte sichern können. eine schnelle dusche, das rad holen, einkaufen und los zur eröffnung.

stattdessen habe ich am vormittag ein paar termine abgeklapppert, arzt, optiker usw. gegen mittag in friedrichshain in einem restaurant gesessen und gegessen, ohne meinen namen und meine adresse verraten zu müssen. wieder zuhause in aller eile ein wenig von dem arbeitschaos sortiert, immerhin, das mich nachhaltig umgibt. und schließlich so gerade eben noch den link zum livestream der bachmannpreiseröffnungsveranstaltung gefunden.

danach dann wieder an die arbeit. was sonst? es ist erschreckend. aber so endlich das chaos ein wenig gelichtet, ich weiß nicht einmal wie. mit kompetenz vermutlich. es wirklich lichten können, also leichter gemacht. für zwei oder drei tage vielleicht.

wenn das kein grund zum klagen ist.

keine klagen (74)

am ende geht ja immer alles recht schnell in klagenfurt, und dann ist es auch gleich vorbei. schlagartig sozusagen. ich bin dann auch gleich los, so wahnsinnig schlimm interessiert mich das gewinnen-und-verlieren-spiel ja auch nicht. ich möchte immer nur wissen, ob ich mich an der einen oder anderen stelle nicht ganz doll ärgern muss. mitunter fabriziert kritik ja auch mächtigen unsinn und prämiert eigenartiges.

war diesmal nicht so, nur gewundert habe ich mich an einer stelle ein wenig. aber nicht schlimm, einen preis gab es dafür nicht. alles gut.

noch mehr gewundert hat mich die qualität der jury, die streckenweise eher unterirdisch unterwegs war. zum teil auf der suche nach der autobiografie der autor_innen, verzweifelt beinah. dann wieder irritiert von dem grandiosen stoff, der präsentiert wurde, der aber keine gänge form fand. weil es dafür keine form gibt, noch nicht. vielleicht. aber sollte eine fachjury daran scheitern, wenn da vor ihren augen womöglich etwas neues entsteht? und kapitulieren?

anschließend mit dem zug nach wien, gut klimatisiert, perfektes wlan. nur ein bisschen laut vielleicht, der zug war voll.

heiß ist es bei der ankunft. (noch heißer heute, ich traue mich nicht wirklich raus. bin aber auch froh um eine input-pause.) doch wien ist schön in der nacht. nicht zu voll, nicht zu schnell, zumindest jetzt gerade nicht. irgendwie weich wie die luft. der himmel ist dunkler als in berlin, auch mitten in der stadt. sattes, tiefes blau. mit ein paar einzelnen sternen. überall hockt das alter in den gebäuden, in den wänden und wegen. aus den ritzen lugt es hervor, und ich weiß nicht, ob es gutes verspricht.

vermutlich eher nicht, das weiß man ja. ist ja österreich hier.

ach, das weiß ich doch jetzt schon, dass ich wiederkommen muss. nicht wieder zehn jahre warten oder so. never!

keine klagen (73)

früh los, gleich zum studio, guten platz erwischt. zweite reihe, sicher hinter der sofawand der ersten reihe, aber gute sicht. alles toll, alles schön, besonders die klimatischen bedingungen. super.

nur dieses beengte sitzen, dieses stillsein und glotzen. und dabei womöglich abgefimt werden. och nee, in der pause bin ich dann rüber in den lendhafen, zum capuccino. obwohl neben mir im studio dieser typ saß, der jedes jahr dort die lesenden zeichnet. ganz dezent und leise, sogar mit mildem strich. keine ahnung, warum.

als letzten text dann übelsten männerkitsch über mich ergehen lassen müssen, schlimmer noch als gestern. kriegskitsch diesmal, läuterungskitsch. keine ahnung, was passiert wäre, hätte ich da noch im studio gesessen.

ich denke also weiter, über das sagbare und das denkbare vor allem. denn alles, was denkbar und machbar ist, sollte auch sagbar sein. finde ich. man könnte natürlich auch clemens setz zitieren, immer und immer wieder. aber wer bin ich denn?

aber ich bin nich nicht fertig mit denken. es war auch niemand da für einen austausch. also war ich mein abschiedseis essen, keine ahnung, ob da morgen offen sein wird. dann gibt es natürlich noch eins, vielleicht nochmal graumohn? oder topfencreme? es gibt auch ziegenkäseeis.

und ein ein kleid. gekauft! mir. ich mir. ein kleid gekauft. ein kleid! aber am montag sind 40° in wien angesagt, was soll man da machen?

und doch noch schwimmen gewesen. ich hätte es nicht gewussst, so wie ich es vorher nie weiß. aber ich hätte etwas verpasst, hätte ich es nicht getan. und ich war kurz davor.

keine klagen (72)

zurück vom landhafen, wo es richtig kühl geweht hat. sehr angenehm. zum ersten mal verstanden, was die gomringer (aus)macht. ich hätte früher gehen sollen, pünktlich sein, zu ihrer performance. zum erste mal auch diesen photowettbwerb begriffen, wort im bild. in aller ruhe zugesehen und wirklich verstanden. schön.

wichtig auch vor allem, wichtig für das buch, in dem es ja auch um bilder sehen und die welt hören geht. warum auch immer, ich hab mir das nicht ausgedacht. aber heute verstanden, dass es bei bildern viel um schweigen geht. ganz anders als beim schreiben.

wenig menschen getroffen, die ganzen tage eigentlich. alles gut, alles anders. es ist, wie es ist. ich habe zu tun, das allein macht mich noch aus.

keine klagen (71)

temperatursturz auf gute 30°, dazu leichter wind. eine wohltat. ich bin früh am lendhafen, obwohl ziemlich verbummelt. als preis erhalte ich ohne aufpreis einen sitzplatz mit tisch, also so etwas wie einen arbeitsplatz. so residiere ich die ganze lesezeit im schatten, ohne groß herumrücken zu müssen. unglaublich.

die texte packen mich mehr als gestern, zumindest die vormittäglichen. seitdem denke ich nach über stil und stilistik, über thema und stoffe und deren umsetzung. und über sprache, ihre machbarkeit und das, was mit sprache nicht mehr machbar scheint. besser kann es gar nicht sein. über den nachmittag möchte ich schweigen. nichts für mich, nein.

ich weiß nicht warum, aber ich fahre dann wieder nicht an den see. was ein blödsinn ist, im zimmer ist es stickig und warm. ich muss erst die fenster öffnen, um durchzuatmen. und selber ein wenig durschwitzern. aber ich muss halt doch zeugs erledigen, einen anruf und ein paar mails. die rechnung noch? ach naa, das geht auch morgen, übermorgen. montag, bei 39° in wien. uff!

dann will ich erstmal eisessen, topfencremeeis. hervorragend. (gestern war’s übrigens holunderblüteneis und davor graumohneis. alles höllisch gut!) dann wollte ich sandalen haben, fahrradfahren in flipflops macht mir irgendwie angst. ich finde sogar welche, mehr so trekking, billigware. schließlich stehe ich vor einen stand mit kleidern! ich! weit geschnittene hemdartige gebilde, vermutlich einheitsgröße, aus baumwolle oder leinen, ich weiß nicht. ich!

gekauft habe ich keines, aber eher aus geiz als aus nichtgefallen. es wäre mein erstes (selbstgekauftes) kleid gewesen. schade.

PS jetzt wieder im zimmer und erstmalig die potcasts des literaturcafés hören. das dauert. ; )

keine klagen (70)

trotz hitze alle fünf heutigen texte am lendhafen gehört. das war gut auszuhalten, da ging sogar ein warmer wind. außerdem ist für viel schatten gesorgt in diesem jahr.

dannach gleich zügig zurück, eis und salat essen. aus den verschwitzten klamotten raus. nicht an den see, nein. war mir zu heiß, vor allem die fahrt da raus. immer noch 36° grad. die gewitter gehen wohl auch anderso runter, hier ziehen nur ein paar hohe wattewolken durch. bislang.

also ins hotel. jetzt liege ich auf dem bett und will auf jeden fall gleich fußball schauen. deutschland wird weltmeister. (schwer zu googlen, die termine der deutschen frauenfußballmannschaft. nach gefühlten drei bis sieben stunden immerhin steht fest, ich habe mich geirrt. der nächste termin ist erst samstag. ich meine, mich erinnern zu können, dass die drei (oder waren es womöglich fünf?) spiele der männermannschaft im letzten jahr on top auf der google-hauptseite zu finden waren.)

die texte selbst? ach, es ist wie jedes jahr. ich bin keine kritikerin, ich will das auch gar nicht. umgehauen hat mich nichts wirklich und vieles auch schlicht nicht interessiert. (schicke ausrede, wie so ein kritiker.) anderes war interessanter, aber dafür formal eher zäh. also, selber lesen, los.

meine achtung, meine arbeit liegt ganz woanders: in den deutlich fragileren entstehungsphasen von text, zwischen hoffnung und angst. exakt da, wo noch alles schief gehen kann. oder zum stillstand kommt, weil es so viele möglichkeiten gibt. die atemphase, die kein kritiker jemals durchpusten sollte. wobei teil der bachmannshow natürlich ist, dass genau das jederzeit passíeren kann. und auch zweifellos passiert.

dabei scheinen auch die kritiker_innen bislang etwas müde, wenn nicht zahm. sie mögen irgendwie fast alles, zumindest ein bisschen. udn wenn nicht, dann liegt es womöglich am stoff, am fehlenden eigenen interesse oder an sonst was. streiten tun sie mitunter über die art, wie sie streiten möchten. immerhin.

keine klagen (69)

heute alles anders. der zug überpünktlich, ziemlich leer und überaus angenehm, die ganze fahrt. es war ein österreichischer zug.

auch sonst alles ein wenig anders als sonst. gleich nach der ankunft rüber ins musil-museum zur stipendiatenlesung. liegt ja direkt gegenüber. diesmal aber nicht bis zuletzt geblieben, weil noch zu viel unruhe, so viel noch zu tun war. das fahrrad klarmachen, das hotel auch. auf dem weg festgestellt, dass eine rolle des rollkoffers den geist aufgegeben hat, sich quasi in zersetzung befindet. den rest dieser tage werde ich also mein gepäck auf einem verdaddelten stück plastik hinter mir herzerren. was bei diesem wetter kein spaß ist, sondern sport. t-shirt und hemd klatschnass. also duschen und ein bißchen was essen und trinken, bevor schon die eröffnung losgeht.

das hotel ist okay, das zimmer ist klein, aber es funktioniert. alles. wlan ist umsonst und funktioniert. oh, wunder. die geniale unterkunft der letzten beiden jahre, exakt zwischen lendhafen und orf-studio, war diesmal leider nicht zu haben. das macht mich traurig, jedesmal, wenn ich dort vorbeifahre. einen oder zwei tage ist sie belegt dieser tage, mittendrin, also vermutlich nicht von einem tddl-besucher. aber wer weiß.

zur eröffnung das übliche gerede, weil es so muss. wichtig ist nur die leseauslosung und rede zur literatur. immer. diesmal hat clemens setz von zersetzung gesprochen. über dichter, die sich an der realität verheben und nach berlin ziehen. und über die progrome unserer zeit.

danach ist die nacht keine mehr nacht geworden, längst bin ich zurück und blogge. in aller ruhe, denn es ist früh am tag. sozusagen. lange vorbei, die zeiten, in denen ich zwischen drei und vier oder fünf angetrunken den mobiltelefonwecker zu stellen versuchte. und der mir, nach erfolg des unterfangens, allen ernstes meldete, er würde dann ich zwei stunden dreizehn miniuten tätig werden. gnadenlos.

und das ich. so etwas tue ich sonst nie. und vermisse es auch nicht. oder vielleicht doch?

keine klagen (68)

morgen mittag gehts los. gut 25 stunden anfahrt diesmal, inklusive übernachtung in münchen und zugfahrt durch die berge am mittwoch früh. ankunft überpünktlich zur 1. lesung, der literaturkurslesung, die sonst kaum jemand besucht, den ich kenne. grundsätzlich ist da sowieso mehr so der betrieb, also menschen, die ich nur vom sehen kenne. und sie mich überhaupt nicht. aber ich bin gerne dort, immer wieder. inkognito, sozusagen. und diesmal erst recht.

die verlassenheit wird mich auf auch reisen begleiten, mehr noch vielleicht als hier. davon gehe ich im moment aus. so viele, die nicht dort sein werden in diesem jahr. es wird also einsam sein in klagenfurt. ich werde still sein inmitten des betriebs um mich herum, ich werde viel schweigen. vermutlich.

oder schreiben? das sterbekapitel in klagenfurt schreiben?

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